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Ungenügend und bereits überholt: Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative

Die Verordnung zum Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative schützt nur ungenügend vor Kinderarbeit und ist international überholt. Mit dieser Verordnung verwässert der Bundesrat die Gesetzesregulierung. Nur noch wenige Unternehmen sind dadurch von der Sorgfaltspflicht betroffen.

Ende 2020 stimmten 50.7 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) zu. Diese scheiterte jedoch am Ständemehr. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments soll nun am 1. Januar 2022 in Kraft treten. Dieses Gesetz geht viel weniger weit als die ursprünglich vorgeschlagene Initiative es forderte und beinhaltet keine umfassende menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, sondern lediglich Sorgfaltspflichten bezüglich Kinderarbeit und Konfliktmineralien sowie eine Berichterstattungspflicht. Um diesen Gegenvorschlag umzusetzen, hat der Bundesrat nun eine Verordnung zum Gegenvorschlag zur KVI vorgelegt.

Mit dieser Verordnung verwässert der Bundesrat die Gesetzesregulierung jedoch. Nur noch wenige Unternehmen sind dadurch von der Sorgfaltspflicht betroffen. Eine Anpassung des Verordnungsentwurfs ist in unseren Augen unerlässlich, damit die Schweiz wenigstens die im Gesetz vorgesehen beschränkten Sorgfaltspflichten effizient umsetzen kann. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil der Gesetzesvorschlag im internationalen Vergleich bereits hinterherhinkt, was für Schweizer Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil darstellen kann. Der Richtlinien-Entwurf des EU-Parlaments, das deutsche Lieferkettengesetz, das französische Loi de Vigilance sowie das neue norwegische Gesetz gehen alle weiter und sehen umfassende Sorgfaltspflichten mit behördlicher Kontrolle, Haftung oder sogar strafrechtlichen Sanktionen vor.

 

Zusammenfassung der wichtigsten Punkte der Stellungnahme von Fairtrade Max Havelaar, welche wir dem Bundesrat am 9. Juli 2021 eingereicht haben:  


Wir fordern, dass nicht zu viele Unternehmen von der Sorgfaltspflicht befreit werden  

KMU werden vom Bundesrat gänzlich von der Sorgfaltspflicht befreit – unabhängig davon, ob sie im Hochrisikobereich tätig sind. Dies entspricht nicht dem risikobasierten Ansatz, welcher im Gesetz und den internationalen Standards verlangt wird. 

Zudem sind alle Unternehmen von der Sorgfaltspflicht befreit, wenn kein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit vorliegt. Ohne eine aktive Ermittlungs- und öffentliche Berichterstattungspflicht besteht für Unternehmen jedoch kein Anreiz die konkreten Kinderarbeitsrisiken zu prüfen und einen «begründeten Verdacht» zu hegen. Weiter stützt sich die Verordnung bei der Befreiung von Pflichten auf Länderrisikoeinstufungen. Dies birgt ein grosses Risiko, dass sich Unternehmen von ihrer Verantwortung entziehen und auf Produkte aus Ländern mit geringen Risiken für Kinderarbeit ausweichen. Das Gesetz und die internationalen Vorgaben definieren einen sicheren Handlungsrahmen, wie Unternehmen mit Menschenrechtsrisiken bzw. Kinderarbeitsrisiken umgehen können. Weder die bewusste Selektion «risikofreier» Länder noch ein Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen mit Akteuren in Ländern mit hohem Kinderarbeitsrisiko dient diesem Zweck und kann die Menschenrechtslage vor Ort sogar verschlimmern. Dem soll die Verordnung Rechnung tragen und vermeiden, dass die Option «sich zurückziehen» nicht als präferierte Option forciert wird.

Für diese Länderrisikoeinstufungen beschränkt die Verordnung die Risikoprüfung auf das Produktionsland gemäss Herkunftsangabe («made in»). Damit werden bei verarbeiteten Produkten häufig gerade diejenigen Wertschöpfungsstufen ausgeklammert, welche besonders hohe Risiken für Kinderarbeit aufweisen (z.B. der Anbau von landwirtschaftlichen Rohstoffen). Ein Unternehmen, welches Schweizer Schokolade produziert («made in Switzerland»), wäre somit beispielsweise von der Sorgfaltspflicht befreit, obwohl die Kakaobohnen aus West-Afrika stammen - mit sehr hohem Risiko für Kinderarbeit.

 

Wir fordern, dass die Sorgfaltsprüfung so ausgestaltet wird, dass sie Kinderarbeit wirklich bekämpft und die Situation nicht noch verschlimmert 

Armut ist eine der Hauptursachen für Kinderarbeit. Bei der Wahl der geeigneten Massnahmen sollten die Ursachen für die Kinderarbeit miteinbezogen werden, insbesondere auch die Auswirkungen von unfairen Handels- und Preisbildungspraktiken. Ein Verbot von Kinderarbeit allein ist nicht effizient, vor allem wenn es für die betroffenen Kinder und ihre Eltern keine alternativen Angebote gibt. Vielmehr sollte (ausbeuterische) Kinderarbeit nicht isoliert betrachtet werden und muss die komplexe Dynamik berücksichtigt werden, die zu Kinderarbeit führt. Wichtig sind dabei Massnahmen zur Erreichung existenzsichernder Einkommen und Löhne.

 

Kontraproduktiv: Kosten für die Vermeidung von Kinderarbeit am Anfang der Lieferkette  

Die Verordnung schreibt vor, dass das Unternehmen seinen Lieferanten und der Öffentlichkeit aktuelle Informationen über die Lieferkettenpolitik in unmissverständlicher Weise mitteilen und seine Lieferkettenpolitik in die Verträge mit den Lieferanten integrieren soll. Mit der Definition von Anforderungen wird das Problem von Kinderarbeit nicht gelöst, sondern möglicherweise lediglich umgangen oder versteckt. Die erhöhten Produktionsbedingungen für die Lieferanten dürfen nicht zu unveränderten Verkaufskonditionen in die Verträge aufgenommen werden. Bei gleichbleibenden Einkaufpreisen würden so die damit entstehenden Kosten für die Vermeidung von Kinderarbeit an den Anfang der Lieferkette weitergegeben. Dies würde dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufen, welches zum Ziel hat, Kinderarbeit in globalen Lieferketten zu vermeiden und die entsprechenden Risiken zu mindern.

Das Gesetz verlangt, dass Unternehmen entlang der Lieferkette ein Managementsystem errichten. Das bedeutet auch, dass die Kapazitäten für Managementsysteme im Ursprungsland der Rohstoffe verstärkt werden müssen. Diese sollten im Sinne einer geteilten Verantwortung auch von den Unternehmen in der Schweiz mitfinanziert werden. Zu den geforderten effizienten Massnahmen gehört nämlich auch, dass allenfalls beschränkte Kapazitäten von Lieferanten (insbesondere von Kleinbauernorganisation im Süden) berücksichtigt werden und die geeigneten Mittel zur Umsetzung vor Ort zur Verfügung gestellt werden.  

In den internationalen Standards besteht Einigkeit darüber, dass in Fällen, in welchen ein Unternehmen nachteilige Auswirkungen verursacht oder dazu beigetragen hat, es durch rechtmässige Verfahren für Wiedergutmachung sorgen oder dabei kooperieren soll. Die Verordnung hat diese Pflicht nicht explizit aufgeführt und die entsprechend vorgesehenen Beschwerdemechanismen sind unzureichend.

 

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